Deutschland und irgendwas mit 4.0

Wie ist es in Deutschland um die Digitalisierung bestellt? Überall liest man von Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Verwaltung 4.0, Bildung 4.0 usw. Sie alle beschreiben eher einen Wunschgedanken als einen Zustand. Das sich Umstände wie Anforderungen kontinuierlich ändern bezweifelt wohl niemand. Aktuell wird in erster Linie ein Maß als Kriterium angelegt: Effizienz. Ein nachhaltiger Lebenszyklus stellt eine Produktanforderung dar, die man nur selten liest. Was muss schon noch von Dauer sein, wenn morgen wieder alles anders ist? Ein weiteres, jedoch unfreiwillig hinzugekommenes Kriterium ist die Datensicherheit.

Der kleinste gemeinsame Nenner der Digitalisierung ist das Ziel der Prozessoptimierung bei Einhaltung der Datensicherheit für ein und ausgehende Informationen. Gerade in öffentlich rechtlichen Einrichtungen spielt der bidirektionale Datenschutz eine große Rolle, schließlich geht es dabei um unser aller Daten. Hier hat der aktuelle Stand der Digitalisierung durchaus Entwicklungspotential. Verweigerungshaltungen in den Ämtern auf der einen Seite und Datenpannen, wie die eventuell nicht DSGVO konforme Nutzung Microsoft 365 Anwendungen in Behörden auf der anderen Seite.

Besonders die Verwaltung der Coronatests macht vielen Gesundheitsämtern offenbar zu schaffen. Die Kontaktverfolgung ist, was die Mittel angeht, nicht Ämter übergreifend standardisiert. Schnittstellen dürften so nur schwer zu nutzen sein, vom Aggregieren der Daten ganz zu schweigen. Viele Ämter arbeiteten laut aktueller WDR Recherche noch analog mit Zettel und Stift. Das bedeutet, dass irgendwann alles transkribiert werden muss, um die Daten auch an einer anderen Stelle zu nutzen. Das ist Arbeitszeit, die keiner mehr aufbringen kann und mit sicheren digitalen Lösungen nach einem einmaligen Anfangsaufwand nicht mehr nennenswert wäre. Die Daten werden selbstverständlich vielerorts zur Einschätzung benötigt und das sofort. Das dahinterstehende Gesundheitsministerium weiß offenbar nicht, wie viele der Ämter noch analog arbeiten.1 Vielleicht hat das dort irgendein Mitarbeiter aufgeschrieben und den Zettel verlegt.

In der freien Wirtschaft hingegen herrschen zwar auch die Richtlinien der DSGVO aber was den Einsatz digitaler Services angeht, können freiere Entscheidungen getroffen werden. Hier rühmen sich innovative Unternehmen mit Begriffen, die ihre Kunden nicht verstehen, nicht nur aber auch in Deutschland: „Bei rund 40 Prozent aller ‚KI-Startups‘ in Europa gibt es keinen Hinweis darauf, dass Künstliche Intelligenz in irgendeiner Weise Teil des Geschäfts oder Angebots ist. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Londoner Investmentfirma MMC Ventures.“2

Und in den klassischen Unternehmen? 2017 hatten 60% der von der IT-Unternehmensberatung Dimension Data befragten Unternehmen keine ausformulierte Strategie, wie die Digitalisierung im Arbeitsumfeld eingesetzt werden kann.3 2018 sah das in Deutschland leider noch nicht besser aus, Jahr 18 der Internet Beta Phase. Der Digitalisierungsmonitor von Bearing Point offenbarte, dass jedes fünfte Unternehmen bei der Entwicklung der Digitalstrategie „noch recht am Anfang“ steht.4 und dass die Transparenz der Digitalstrategie so durchsichtig wie Milchglas ist (Anmerkung des Redakteurs). Viele wüssten weder warum und wohin sich das Unternehmen mit der Digitalisierung verändern wolle, noch, welche Rolle sie selbst dabei spielen.

Wer zwei Jahre später noch immer keine IT-Strategie hat, kann sich einfach bei dem Begriff New Work bedienen. Die Mitarbeiter mehr in die Digitalisierungsstrategie einzubinden wäre schon Mal nicht schlecht, doch reicht das an sich nicht aus. Moderne Hardware ist mittlerweile zu einem Entscheidungskriterium geworden, wenn es um die Auswahl des Arbeitgebers geht und was das angeht, haben Unternehmen nicht gerade die Spendierhosen an. Wenn es schon auf der Arbeit selbst mau aussieht, kaum vorzustellen wie es dann im Homeoffice der Menschen aussehen muss.5

Digitalisierung 4.0 „2019 sehen 38 % der KMU fehlende IT-Kompetenzen der vorhandenen Beschäftigten“ KfW Research Report Nr. 277, 4. Februar 2020

Auszug aus dem KfW Research Report Nr. 277, 4. Februar 2020 – Erhebungszeitraum 2019

Der KfW Research Report der noch kurz vor dem Aufkommen der Corona Pandemie veröffentlicht wurde, offenbarte dass obwohl für 80% der KMU die grundlegende Digitalkompetenz von großer Bedeutung ist, 40% der befragten Unternehmen bei ihren Beschäftigten mangelnde IT-Kompetenzen wahrnehmen. 6 Zu den digitalen Grundkompetenzen zählt zum Beispiel die Bedienung von Standardsoftware und digitalen Endgeräten.

Obwohl die Daten aus dem KfW Bericht 2019 generiert und auf Eigeneinschätzungen der Unternehmen basieren, verheißen sie für das Homeoffice Jahr 2020 wenig Gutes. Selbst wenn die zur Verfügung stehende Hardware stimmt, die muss aber auch bedient werden können und was soll man sagen, die Digitalkompetenz gehörte eben noch nie wirklich zum Curriculum.

In Punkto Digitale Grundkompetenzen gibt es insbesondere bei KMU im wahrsten Sinne des Wortes Entwicklungspotential. Gerade kleinen Unternehmen fällt es selbstverständlich schwerer ihre Ressourcen (ob menschlich oder monetär) für IT-Schulungen freizustellen, da die Mittel dort rar sind. Ausfälle und Ausgaben fallen desto mehr ins Gewicht je kleiner das Unternehmen ist. Aber auch andernorts sieht es mit der Förderung der Digitalen Kompetenz nicht deutlich besser aus. Arbeit 4.0… leider wohl eher Arbeit 4.0 – Note 4.

„Arbeiten im Home Office ist in vielen Unternehmen quasi über Nacht zur Regel geworden. Gleichzeit wissen wir, dass die Voraussetzungen dafür, nämlich digitalisierte Büro- und Verwaltungsprozesse, in vielen Organisationen nicht erfüllt sind. So hat der Bitkom Digital Office Index noch vor zwei Jahren ergeben, dass jedes dritte Unternehmen in Deutschland hier Nachholbedarf aufwies“ (Bitkom 2018). „7

In der Fertigung, sprich Industrie 4.0, haben die Unternehmen und ihre Verbände schon zielgenauere Vorstellung, wie sie ihre Produktionsanlagen digital vernetzen und neben Metall, Holz und Plastik auch Informationen verarbeiten können. Der Schnittstellenstandard Umati ist dabei nur ein Beispiel. 8 Aber wer erhält aber Einsicht in diese aufbereiteteten Analysen der Produktionsstette ? Natürlich die, die zuvor auch mit den Maschinen gearbeitet haben.

Quo vadis Digitalisierung?

Wenn wir wirklich die Vorteile der Digitalisierung nutzen wollen, dann müssen wir Souveränität erlangen und vor allem die Endanwender mit einbeziehen. Die Digitalisierung Deutschlands scheint auf einem bröckeligen Fundament zu stehen. Nichts was man nicht unter Kontrolle bekommen könnte. Ausbau der Digitalkompetenz und Investitionen in gute Digitale Schulungsangebote rentieren sich, insbesondere für KMU. Zudem gilt, Software von der Stange bleibt eine Blackbox für die Kunden. Besser sind individuelle Lösungen mit kompatiblen Schnittstellen zur IT-Firmenstruktur.

1 https://www.deutschlandfunk.de/corona-pandemie-viele-gesundheitsaemter-in-nordrhein.1939.de.html?drn:news_id=1186105
2 https://www.heise.de/newsticker/meldung/Kuenstliche-Intelligenz-Europas-KI-Startups-fast-zur-Haelfte-ohne-Bezug-zu-KI-4326841.html?wt_mc=ko.red.ho.conrad-nl.2019-03-06.link.link&agn=28836372&userid=943966920a1c10cfae9aefb8d8946758> aufgerufen 25.09.20
3https://t3n.de/news/digitaler-arbeitsplatz-842324/>
4<https://t3n.de/news/transformation-bearing-point-1114131/>
5 https://www.wiwo.de/technologie/gadgets/digitaler-arbeitsplatz-steinzeit-it-vertreibt-mitarbeiter/22886692.html
6https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2020/Fokus-Nr.-277-Februar-2020-Digitalkompetenzen.pdf
7 Aus <https://www.bitkom.org/Themen/Technologien-Software/Digital-Office/Tipps-aus-dem-Digital-Office-in-Zeiten-von-Corona>
8 https://www.heise.de/hintergrund/Industrie-4-0-Wie-Umati-die-Werkzeugmaschinen-vernetzt-4535398.html