„Niemand braucht Chefs“
Das war der Titel einer Session auf einem BarCamp, das wir für einen Kunden veranstaltet haben. Alle die bei einem BarCamp an ein Zeltlager für Alkoholiker denken, muss ich leider ernüchtern. Ein BarCamp ist eine Art Konferenz zu einem Themengebiet mit festen Zeitslots aber ohne Vorgaben, welche Themen innerhalb der Zeitslots behandelt werden und vor allem ohne Vorgaben wie sie behandelt werden. Alle Teilnehmer können eine so genannte Session halten und alle die gerade keine Session anbieten, die können wählen, welche Session sie besuchen möchten. Gar nicht so kompliziert, oder?
Der Vorteil ist, dass auch ad hoc Ideen aufgegriffen und behandelt werden können, da die Sessions erst zu Beginn des BarCamps geplant werden. Wenn das BarCamp über mehrere Tage geht, dann werden die Themen der nächsten Tage ebenfalls erst zu Beginn des jeweiligen Tages festgelegt.
Nicht jeder wird diese Art des Informationsaustauschs als revolutionär betrachten. Obwohl die ersten BarCamps schon 2005 veranstaltet wurden, ist die Möglichkeit sich mit Kollegen frei austauschen zu können alles andere als selbstverständlich. Entweder die Standupmeeting-Uhr läuft ab oder bei einem acht Stunden Frontalvortrag auf einer Fachtagung hört man die Bitte, Fragen erst am Ende zu stellen. In der Mittagspause möchte man eventuell nicht auch noch über die neuen Verfahrensmaßnahmen nachdenken. Selbst wenn man eine wirklich coole Idee hat, genau diese Verfahrensmaßnahme effizienter zu gestalten. An der Küchenzeile vor der Kaffeemaschine erreicht man doch „nur“ die Kollegen aus demselben Stockwerk. Eine Liste mit Negativbeispielen bei der internen Kommunikation findet ihr hier.
Ein BarCamp bietet Zeit und Raum sich zu einem Themengebiet mit Leuten mit ähnlichen Interessen, Aufgaben oder Schwerpunkten auszutauschen. Es ist wie auf einem Schulhof, auf dem dutzende Cliquen ihre Köpfe zusammenstecken und sich über die Themen unterhalten, die sie wirklich interessieren. Nur dass man frei wählen kann, in welcher Pause man zu welcher der Cliquen gehen möchte. Obwohl meist eine einzelne Person eine Session anstößt, kann jeder Teilnehmer etwas dazu beitragen. Man profitiert gemeinsam von den Erfahrungen aller Beteiligten. Es ist ungezwungen aber lehrreich, es ist ergebnisoffen aber gewinnbringend, es ist frei aber nicht chaotisch.
„Es geht darum Potentiale der Individuen zu entfalten“
Die Grundidee, dass man Menschen einen Ort gibt, an dem Sie sich austauschen können, in dem guten Glauben, dass die Teilnehmer freiwillig etwas beitragen mag insbesondere für einen Veranstalter etwas abenteuerlich klingen. Man benötigt neben der Location also eine weitere Hauptkomponente, um ein BarCamp veranstalten zu können: Vertrauen. Nach meinem mittlerweile dritten BarCamp kann ich sagen, dass Location über Vertrauen steht. Man sollte nicht hoffen, dass genug Sessions stattfinden, sondern dass die Räume ausreichen.
Thema einer Session auf einem BarCamp
Das Themengebiet des oben erwähnten veranstalteten BarCamps war übrigens das Arbeiten in selbstorganisierten Teams. Sich als Führungsperson mit anderen darüber zu unterhalten, wer eigentlich noch Chefs benötigt, mag sich auf den ersten Blick genauso aberwitzig anhören, wie eine Konferenz ohne Redner abzuhalten. Beides hat etwas mit vorgegebenen Strukturen zu tun, die uns Sicherheit geben, uns aber gleichzeitig einengen können. In beiden Fällen geht es nicht darum, dass jeder machen kann was er will, ohne Konsequenzen zu erwarten. Es geht darum Potentiale der Individuen zu entfalten, durch Verantwortungsübernahme für die jeder selbst verantwortlich ist.
Antiautoritäre Erziehung wird zu Recht und zu Hauf in Fachkreisen und Stammtischen diskutiert. Seltener hört man aber, dass jemand dafür eintritt, dass auch erwachsene Menschen mehr Freiheiten bekommen, um ihre Arbeitsweisen selbst zu gestalten. Selbstverständlich benötigt dieses Konzept paradoxer Weise Beobachtung, Begleitung und einen Rahmen. Das ist aber nicht das Gleiche wie Bewachung, Leitung und Vorgaben.
Mein Tipp: Wenn ihr es noch nicht getan habt, nehmt an einem BarCamp teil. Es ist erstaunlich wie sich Motivation entfaltet, wenn man sie lässt.
Es kann bezweifelt werden, dass die Zukunft der Arbeit ohne Führungskräfte verlaufen wird. Denkbar ist aber mehr Eigenverantwortung von kollaborativen Zusammenschlüssen, nennen wir sie Teams. Zudem würde dieses Verhalten eine Verlagerung des Aufgabenschwerpunktes bei den Führungskräften hervorrufen. Die Notwendigkeit tiefgreifend in die Arbeitsweisen der autarken Teams einzugreifen würde gemindert, während gleichzeitig die Unterstützerfunktion als Leitfigur für autonomes Arbeiten steigen würde. So die Theorie.
Wenn ihr es genauso oder anders seht, lasst es uns wissen!
Euer Scitotec Team